Neue Ideen zur postkolonialen und postlinken Geschichtsschreibung

Dipesh Chakrabarty meinte die indische Elite habe nach Unabhängigkeit von 1947 drei große Ziele gehabt. Traditionalisten wie M. Gandhi wollten ein Reich der Gerechtigkeit etablieren, die Linke wollten die Gesellschaft durch eine sozial(istisch)e Revolution verändern und die Nationalisten wollten einen modernen, kapitalistischen Rechts- und Nationalstaat schaffen. In der frühen postkolonialen Zeit war das (eurozentrisch geprägte!) narrativ in der indischen Geschichtsschreibung, dass Indien unvollständig oder mangelhaft sei, da keine der drei Zielen erreicht wurde. Chakrabarty schrieb in den 2000er Jahren darüber in sein Buch „Europa als Provinz“.

Während in den 2010er Jahren der marxistische Aufstand der Naxaliten in Indien an Bedeutung verlor, gewannen rechtsnationale Populisten politischen Einfluss und Wahlen. Die Linke scheint ein Relikt des 19. und 20. Jahrhunderts zu sein. Slavoj Zizek sprach auch von „drei Fehlschlägen“, diesmal von der europäischen Linke des 20. Jahrhunderts. Der Kommunismus, die Sozialdemokratie und die Dezentralisierung von Politik und Wirtschaft waren im 20. noch bei den Linken die drei Alternativen gegenüber dem klassischen Kapitalismus oder dem Neokapitalismus. Seit den 1990er Jahren haben die meisten Linke aber den Neokapitalismus akzeptiert. Die meisten populären Ideen der Linken wurden vom Ende des 19. bis zum Ende des 20. Jahrhundert in Europa durchgesetzt. Das Proletariat gab es nicht mehr. Auch wenn es weiterhin Armut gab. Die meisten Linken versuchen seitdem das ökoplitische System an seine Prinzipien anzunähern. Neben der Umverteilung des Reichtums werden auch seit den 2010er Jahren zunehmend sozialphilosophische Themen in Linken Kreisen angesprochen. Oft im Rahmen der linken Identitätspolitik. Die Zukunft des linken Spektrums liegt zunehmend in den Milieus der gut gebildeten Besserverdiener, nicht wie früher beim Proletariat oder heute dem Prekariat.

Während die(se) Akademiker an ihren Ideen einer idealen Gesellschaft basteln, müssen sie aber auch sich dem Rest der Gesellschaft nähern, welches nicht nur zu untersuchen, sondern mit dem man auch interagieren sollte. Beispielsweise sollte nicht nur dazu aufgerufen werden das Klima zu schützen; es sollten auch Gelder gesammelt werden um zigtausende Arbeiter von Kohlkraftwerken mitsamt ihrer Familien vor der Massenarmut zu bewahren. Mit zureichen Geldern sollte man ältere Arbeiter in Frühpension schicken und für die jüngeren Arbeiter neue Arbeitsperspektiven schaffen.

Ich bin dabei sehr Negierung zu wissen wie ein Ottonormalverbraucher ohne systematische Ideologie die Weltgeschichte sieht. Während die Linke (wie Marx und seine Anhänger) und die Liberalen (wie Fukuyama und seine Anhänger) in der Weltgeschichte eine Teleologie sehen, gibt es für manche Menschen nur das Handeln je nach Lust und Laune und wiederum für andere (um es lapidar auszudrücken) wenige Aussichten auf eine Zukunft so wie sie es planten. Während die Akademiker versuchen einen Trend, vielleicht sogar das Schicksal der Welt zu skizzieren, ist die Zukunft von Milliarden von Menschen noch ungewiss. Wer weiß welche Rolle die Menschenmassen in einer Zukunft spielen werden von dem sie nicht ahnen welche Rolle sie nehmen werden! Dieses zweite Jahrzehnt des dritten Jahrtausend wird auf in den ökologischen, güterdistributiven und geopolitischen Bereichen wichtige Fragen klären oder Probleme machen. Die Zeit nach der Pandemie des Coronavirus‘ wird in diesen drei Spannungsfeldern, so vermute ich, eine Welt in Wirbel auftauche lassen. Die Linken müssen daher das tun, wofür die Linke immer stand: Volksmobilisationsbewegung! Aber nicht nur zur gerechteren Umverteilung der Reichtümer, sondern auch um (geo)politische Krisen zu meistern und die Umwelt zu schützen. Ein solches Narrativ sollte man sich für die Geschichtsschreibung der Zukunftsgeschichte überlegen.

(Fortsetzung folgt)

Julien Sita, 19. Januar 2022.

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