Wendungen in Kulturwissenschaften

Aus dem Buch von Doris Bachmann-Medick „Cultural Turns“ habe ich mich mehr über Wendungen, oder auch „Turns“ genannt, die in der Kulturwissenschaft eine interessante Rolle spielen, wie diese drei Auszüge zeugen können:

Gerade die Erweiterung wissenschaftlicher Gemeinschaften über Disziplinengrenzen hinweg zeichnet bekanntlich die gegenwärtigen Kulturwissenschaften aus. Dadurch eröffnen sie zugleich ein Problemfeld transdisziplinärer Konstellationen, an dem sich immer wieder neue Interpretationsansätze anlagern. Allein schon deshalb wird Kuhns Modell der naturwissenschaftlichen Disziplinenentwicklung mit seiner Orientierung auf einen «Fortschritt der Wissenschaften» hinter sich gelassen. Denn es geht davon aus, dass – nicht etwa evolutionär, sondern durch die Plötzlichkeit von «Eingebungsblitzen, durch die ein neues Paradigma geboren wird» – eine Kette sprunghafter, ja revolutionärer Paradigmenwechsel ausgelöst wird. S. 16f.

«Paradigmen liefern Regeln, um die Natur des Problems und den möglichen Umriß einer Lösung aufzuzeichnen. In den Sozialwissenschaften korrespondieren jedoch die Unterschiede zwischen den theoretischen Positionen, die ich angesprochen habe, mit der Bildung verschiedener sozialer Interessen.» Eine gemeinsame Sicht der sozialen und kulturellen Welt kann daher von den wettstreitenden Theoriepositionen oder gar «Theoriegenerationen» in den Kultur- und Sozialwissenschaften nicht erwartet werden. S. 17.

In der Tat haben sich die Kulturwissenschaften vor allem durch ihre eigene Begrifflichkeit hervorgetan, mit der sie oft überhaupt erst zur Entdeckung neuer Untersuchungsfelder gelangen. Konkret gesagt, treten etwa unter dem Einfluss kulturwissenschaftlicher Ansätze (z. B. in der Geschichtsschreibung) Ausdrücke wie Diskontinuität, Bruch, Schwelle, Grenze, Differenz usw. immer mehr an die Stelle traditioneller Kohärenzbegriffe wie Autor, Werk, Einfluss, Tradition, Entwicklung, Identität, Mentalität, Geist – mit erheblichen Folgen für eine ganz neue Wahrnehmung der Problemlage, und zwar noch vor jeglicher Analyse und Interpretation. Andererseits kommen jargongefährdete Signalwörter auf: Globalisierung, Modernisierung, Hybridität, Transnationalität usw. Doch auch hier ist nicht der «Cultural Turn», die
kulturwissenschaftliche Wende insgesamt begriffsbildend. Vielmehr sind es die Begriffsprägungen der einzelnen turns, die auf dem schmalen Grat zwischen Analyse- und Jargonbegriffen erkenntnisleitend werden
. S. 19

Diese Ideen die Richtungsweisend sein können zeigen eine m.E. interessant Vielsichtigkeit der Kulturwissenschaften. Die Mannigfaltigkeit an verschiedenen Meinungen kann auch manchmal verwirren, weshalb Wissenschaftler oft nach dem Einfall neuer Ideen einen Konsens finden müssen, da sie sonst aneinander und nicht miteinander sprechen. Synthesen bilden oft Grundstrukturen der Orientierung geschichtlicher Epochen wie die Einteilung in Antike, Mittelalter und Moderne. Diese Einteilung ist nicht als absolut gültig anzusehen, aber in den Geisteswissenschaften muss ein Konzept – wenn auch in Groben Zügen – dasselbe für jeden sein. Wir müssen über dasselbe reden um verstehen worüber wir reden.

Julien Sita, 28. Juli 2022.

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