Junge Jahre einer Prinzessin
Anna von Szaborgberg war lutheranische Theologin und Priesterin, Blauhelmsoldatin, Diplomatin, Außenministerin und zuallererst adoptierte Stieftochter des Fürsten von und zu Szaborgberg. Bevor sie ein Regierungsmitglied wurde war sie dreimal im „globalen Süden“ unterwegs. Ihre Abenteuerstrecke reichte vom Amazonas bis zum Himalaya. Sie war offiziell als Missionarin in Lateinamerika unterwegs (im Wahrheit operierte sie als Lutherische Spionin, gegen einen korrupten Kardinal, der über die kolumbianische Kartell-Unterwelt herrscht), dann als Blauhelmsoldatin in Äthiopien und Libanon und zuletzt als „ausländische Agentin“, die den Kaschmirkonflikt, zwischen China, Indien und Pakistan beruhigen sollte. Die Erbfeinde der von Szaborgbergs sind indes die Nationalbolschewisten, die sich von dieser Adelsfamilie betrogen fühlte. Ihr Adoptivvater entschied sich der Bundesrepublik treu zu bleiben, solange seine Privilegien behalten konnte. Die Nationalbolschewisten wollten ihm zwar zum „Reichsoberherr“ ernennen, doch er blieb unbeeindruckt und zerschlug die Bewegung von Innen heraus. Die Schergen der nationalbolschewistischen Bewegung haben ihren Plan einer „nationalen Revolution“ nicht aufgegeben und versuchten die Prinzessin Anna in Kolumbien als Geisel zu nehmen, sie haben mit antizionistischen Antisemiten ein Jahrzehnt von Chaos im Nahen und Mittleren Osten verursacht und wollten Komponenten für Nuklearwaffen im Kaschmir stehlen. Als junge Ministerin eines deutschsprachigen Landes integrierte sie dieses Land, das Herzogtum Tautâbòrg in die EU nachdem sie die internationalen connections der Nationalbolschewisten weltweit ausgeschaltet hat. Da Tautâbòrg deutschsprachig und früher ein Vasallenstaat Preußens war, wurde Anna – eine leidenschaftliche Pferdereiterin – meistens „Prinzessin von Preußen“ genannt. In Wahrheit können Sprecher des Hochdeutschen den tautaborgischen Dialekt kaum verstehen.
Karriere in der Regierung
Es war der 31. März als Anna an ihrem 31. Geburtstag ihre azurblauen Augen aufmachte. Kurz vor Sonnenaufgang fing es an zu schneien. Sie war es gewohnt früh zu beten, bevor sie als Blauhelmsoldatin trainierte. Die Lutherbibel, die ihr Gefährte Bruno Santiago del Barocco y Cortez geschenkt hatte sie für ihre Gebete immer dabei. Nach dem Vaterunser, dem protestantischen Kreuzzeichen und dem Kuss auf ihre Kreuzhalskette mit der Lutherrose im Zentrum des Kreuzes, bereitete sie sich aufgeregt auf die Audienz mit dem Herzog vor. Sie wusste warum der Monarch sie eingeladen hatte, deswegen war sie in dem traditionellen Zeremonialkleid des Hauses Szarborgberg angezogen. Die „Indigo-Garde“ des Herzogs trug eine ärmliche Uniform wie jene, die sie begleitete. Im Thronsaal angekommen legte Anna ihr antikes Reiterhelm ab. Als sie Schritte hörte kniete sie schon bevor die zwei Hofdiener die Goldene Tür öffneten.
Der Hofstaat kniete nieder als Herzog Franziskus-Martinus IV. souverän und mit strengem Blick den Raum betrat. Begleitet von seinen zwei „Gorillas“ überreichte er einem Hofdiener ein Schreiben in altgotischer Schrift, bevor er sich auf dem Hermelinthron setzte. Der Diener las vor, dass Seine Majestät der Herzog Frau Doktor Theologiae und Generalissima Emirita Anna Julia Sanna Elena Karolina Maria Louisa, Die Prinzessin und Erbfürstin von und zu Szaborgberg dazu eingeladen hat die Ernennung Ihrer Majestät zur Ministerin für Auswärtiges und europäische Integration anzunehmen. Nachdem Anna mit spürbarem Herzklopfen die Einladung formell bejahte, schwor sie auf die Staatsverfassung und ihrer Lutherbibel ihrem Amtseid. „So wahr mir Gott helfe“ waren die letzten Worte, bevor der Herzog aufstand und alle wieder knieten. Als alle wieder aufstanden ging der Herzog mit zwei Leibwächtern und zwei Hofdienern zu Anna. Vor Ihr bekam er vom Diener Links die Ernennungsurkunde und vom Diener rechts eine Kugelfeder mit japanischer Tinte. Franziskus-Martinus IV. unterschrieb langsam, elegant und graziös mit einem kleinen Lächeln. Anna hielt ihre Affekte mit einem langsamen Atemzug zurück um ihres gewollten Amtes als würdig zu erscheinen, sie dachte dabei an ihre Achtsamkeitsübung bei den buddhistischen Gefährten während ihrer Mission im Kaschmir. Dann richtete sich ihr Blick auf ihrem neuen Boss. „Frau Doktor und Generalissima Anna, Prinzessin von und zu Szaborgberg, Wir gratulieren Sie zu ihrer Ernennung, die Wir soeben angeordnet haben. Hiermit beginnt Ihre Amtszeit in diesem Mommente und wird nach dem Wohlgefallen Unserer Majestät der Herzog enden oder gebilligt.“ Der Monarch erhob nach dieser Erklärung seine rechte Hand, die die neue Ministerin schüttelte. „Allerbesten Dank!“ sagte Anna zum Staatsoberhaupt, bevor er wieder dem Thronsaal verließ. Die Hofdiener verzierten Anna mit einer zeremoniellen Halskette mit der blauen Symbol des Erdkugel die an der Kette hing, so wie es für einen Außenministers vorgesehen war.
Beim verlassen des Thronsaals wurde die frischgebackene Ministerin vom Parlamentspräsidenten gratuliert. Das Parlament war am Palast direkt angeschlossen, weswegen Anna vom Chef der Legislatur zum Plenarsaal begleitet wurde. Die Ministerin stellte sich einem Vertrauensvotum der Parlamentarier, den sie bestand. Das Votum fand im geheimen statt damit die Abgeordneten nicht allzu sehr unter Druck stehen. (Annas hatte zuvor ihre Freunde im Parlament gebeten ihren Kollegen über ihren Lebenslauf und Leistungen aufzuklären. Den Chef der parlamentarischen Opposition hatte sie selbst getroffen und versuchte ihm zu überreden für sie beim Vertrauensvotum zu stimmen. Dieser war jedoch zu stolz, obwohl er mit ihrem Programm grundlegend einverstanden war.) Der Parlamentspräsident gratulierte nochmals der Ministerin nachdem sie das Votum bestand und erteilte ihr das Wort. Sie stand mit blauem Kleid gegenüber den sogenannten „Olivenmännchen“. Parlamentarier wurde so wegen ihren traditionellen olivgrünen Anzugs genannt. In ihrer Antrittsrede kündigte sie überraschend an die EU-Kandidatur sowie EU-Eintritt ihres Landes gesetzlich bindend zu machen. Selbst die Proeuropäischen haben nicht damit gerechnet, dass Tautâbòrg in kürze EU-Beitrittskandidat werden könnte, doch der energische Auftritt der Außenministerin ermutigte die Parlamentsmehrheit zum Applaus. Alle zwölf Gesetzesentwürfe des Außenministeriums wurden am Ende der Sitzung angenommen. Nach ihrer Arbeit im Parlament feierte Anna am Abend ihren Ernennungstag und Geburtstag zugleich. Sie trank dabei drei Gläser Tautâbier Um Mitternacht unterschrieb Ministerin von Szaborgberg ein Dekret, welches die nationalbolschewistische Bewegung als internationale Terrororganisation anerkennt. Die Agenten des Außenministeriums unterwanderten seit des Inkrafttreten des Beschlusses die lutherische Glaubensgemeinschaft, die Blauhelmtruppen, der Diaspora von Tautâbòrgern und den Bundesgenossen Annas um den internationalen Terrorismus weltweit massiv zu schwächen. Sieben weitere Proeuropa- und Antiterrorgesetze entwarf sie innerhalb von nur zehn Tagen und oft zum ärger ihrer Kollegen, die es nicht gewohnt waren ihrem tüchtigen tempo nachzufolgen. Als ihr Mandat endete wurden die allermeisten Nationalbolschewiken ausgeschaltet und Tautâbòrg wurde längst Vollmitglied der Europäischen Union.
Im Unionsvertrag war aber für Tautâbòrg weder offene Grenzen, noch die gemeinsame Währung oder gemeinsame Sicherheitspolitik vorgesehen. Grenzstreitigkeiten mit allen Nachbarländern (Dänemark, Deutschland, Polen und Schweden), sowie langjährige interne Instabilitäten haben zuvor die europäische Integration des Herzogtums nach dem Ende des Kalten Krieges erschwert. Anna konnte die Beziehungen mit den Nachbarn verbessern, doch sie hielten heimlich und manchmal offen immer noch daran fest die Ressourcen der Ostsee und Grenzgebirgen ausbeuten zu können, weswegen Anna begann einen Groll gegen die imperialistische Wirtschaftspolitik von Staaten und Groß-Konzernen zu hegen.
Am Ende ihrer Karriere ernannte sie drei Staatssekretäre, die sich jeweils um den internationalen Verkehr, die Währungsreform und nationale Sicherheit beschäftigten. „Das sind die kompetentesten Mitarbeiter meines Ministeriums.“, dachte Anna, „Den Herzog, Erberzog und den Parlamentspräsidenten habe ich schon mitgeteilt, dass sie Schwierigkeiten haben werden bessere Kandidaten zu finden, die in meine Fußstapfen treten könnten.“ Allerdings soll Gerüchten zufolge der Herzog wegen seines hohen Alters bald abdanken und der neue Parlamentspräsident pflegte mit dem Erbherzog schlechte Beziehungen. „Der Erzherzog und der Präsident haben mir ihr Wort gegeben, dass sie mein Gutachten nicht ignoriere werden. Falls sie es dennoch tun werden muss ich meine Machtbefugnisse und letzten Einflüsse ausnutzen, damit kein Vollidiot aus dem Innenministerium meinen Posten übernimmt.“ Wagner hatte schon zwei Gefolgsleute zu Ministern gemacht. „Je länger dieser Wagner in der Regierung sitzt, desto einflussreicher wird er. Die meisten Minister unterstützen jetzt eher seine Politik als die meine. Wenn ich nicht jetzt auch mehr Personalpolitik und Machtpolitik betreibe, wird dieser Ar… noch übermächtig. Dieser Abschaum wäre bereit meine Verträge und Gesetze abzuschaffen nur, damit mein Name in Vergessenheit gerät. Ich musste meinen Groll aufheben, vergeben oder vergessen, damit mein Lebenswerk nicht zerstört wird. Wagner war indes schon immer eifersüchtig gegenüber alle Minister, die bessere Arbeit gemacht haben als er. Ich bin die einzige im Ministerrat, die er noch nicht aus dem Amt gemobbt hat.“ In ihrem Büro dachte die Ministerin, während sie wie gewohnt ihren Kaffee trank, an alles was sie noch tun könnte, bevor ihr Mandat und damit ihre Karriere zu Ende ging. Nach ihrer Kaffeepause verbrachte sie den Rest des Tages damit Botschafter anzurufen, Treffen zu planen, Gesetzesvorschläge zu verbessern, ihren Kollegen vom Finanzministeriums nach mehr Geld zu fragen um ihre neuen Projekten zu ermöglichen, Berichte über internationale Cyber-Kriminalität und den Zoll zu lesen, die Beschwerden vom Wirtschafts- und Energieministerium anzuhören und einiges mehr. Am Ende ihrer Arbeit schrieb sie sie in ihrer Geheimsprache mit einer von ihrer entwickelten Fantasieschrift auf, was sie am morgigen Tag und den Rest der Woche tun soll oder könnte. Es war fast Mitternacht als sie ihr Ministerium am Sontag verließ. Sie betete zu Gott und bat um Vergebung, dass sie am Sontag gearbeitet hatte. „Ein guter Politiker ist ein schlechter Frommer. Machiavelli hatte recht.“ Sie hat schon seit Jahren nicht mehr am Sontag geruht, obwohl der präsidierende Minister die allwöchentliche Ministerratssitzung am Samstag verlegt hatte.
Am Samstag hatte sie zuletzt mit Wilbur bzw. Witold am Telefon gesprochen. Sie hatte ihn aber ganze Woche lang nicht gesehen und hatte sonst nur wenige, kurze Telefonate mit ihm. „Was macht er nur?! Was ist verdammt noch mal los?!“ Tausende von Gedanken trieben sie diese Nacht von Sontag auf Montag in die Schlaflosigkeit. Die ganze Nacht lang betete sie zu Gott, dass es ihren Lebensgefährten gut ergehen werde. Bei Sonnenaufgang bekam sie eine Nachricht von ihrem Lebensgefährten: „Ich liebe dich ANNA verzeih mir bitte wenn ich diese nacht nicht aus schloss wildewehr lebend rauskomme.“ Anna fühlte sich kränklich und wurde abwechselnd weiß rot, gelb, grün, blau im Gesicht, brach in Tränen aus und befahl sofort zu diesem Schloss gefahren zu werden. Erst im Krankenhaus sah sie ihren angeschossenen und schwer verletzten Wilbur. „Zum Glück ist er jetzt ausser Lebensgefahr.“ versicherten die Ärzte. Nach der Erleichterung fühlte sie wie sie wütend wurde: „Ich könnte ihn ein Tracht Prügel verpassen. Warum hat er mir nichts gesagt?! Ich hätte seine Operation ungefährlicher machen können, hätte er nur um Unterstützung gefragt. Wie konnte er nur mir nicht vertrauen!?“ Darauf antwortete ein kuriose Gestalt: „Ich verbat ihm strengstens auch nur ein Wort darüber zu sagen: das Innenministerium hat sein Mobiltelefon verwanzt und ihren auch Frau Ministerin.“ Anna sah ihn genervt und perplex an. „Gestatten, Moritz Paul, der Oberkommandant der Azurgarde. Sie Frau Ministerin werden wie alle Minister meinen Bericht über die Vorfälle in Schloss Wilde Wehr lesen können. Mit Ausnahme des Innenministers; er wird wegen Hochverrats angeklagt.“ Ihr Lebensgefährte hatte schon schlimme Schurken hinter Gitter gebracht und war in riskanten Operationen verwickelt, aber diese Ereignisse sprangen ihr Vorstellungsvermögen. Als der Oberkommandant ihr alles erklärte, sagte sie während sie das Kreuzzeichen machte: „Gott sei dank ist er davon gekommen. Meine Gebete wurde erhört: der Herr konnte meinen Lieben mit einem seiner Schutzengeln retten.“
Annas Lebensgefährte
Witold „Wilbur“ Witbòrg kannte Anna schon zehn Jahre vor ihrer Ernennung zur Ministerin. Sein Boss war indes Annas Erzfeind: der Innenminister Heinrich Wagner, weswegen Wagner seinen Staatsdetektiv genannt „Wilbur“ oft unter Bewachung setzte. Witold fand später heraus, dass sein Minister ein Mitglied der Sekte WW – Waffen-Wesen war. Wagner wollte Anna am Ende ihrer Karriere sogar umbringen. Witold konnte mit der Azurgarde als Spione die Sekte infiltrieren und die WW in ihrem Schloss „Wilde Wehr“ zerschlagen. Der Detektiv hatte Jahrzehnte gegen Sekten ermittelt z.B. Okkultisten, Pseudoheiler, Dämonenanbeter, Neuheiden, Primitivsten, Chaosmagier, Anarchisten, Verschwörungswirren und selbsternannte Querdenker. Oft waren diese Arten von Sekten im Bunde mit den Nationalbolschewisten, wenn sie spürten, dass der Staat gegen sie ermittelte. Wagner war in jungen Jahren auch Nationalbolschewist, doch verließ er die Bewegung infolge eines Machtkampfes. Zusammen mit dem jungen und damals linksradikalen Witold waren sie zusammen mit zwei Dutzend anderen Bekannten in einer kriminellen Organisation. Witold stieg aus und dachte Wagner hätte dasselbe getan; deswegen verschwieg er seinen Kollegen seinen Jugendskandal, bis er im Schloss „Wilde Wehr“ herausfand, dass er „Oberherr“ einer Sekte wurde, die aus den Schergen der einstigen Organisation gegründet wurde. Das Ende der WW war der Zenit der Karriere des Detektivs; danach verbrachte er immer mehr Zeit mit Familie und Freunden, sowie mit Anna, die er erst im Rentenalter nach 50 Jahren Bekanntschaft heiratete.
Annas Adoptivvater
Das Ehepaar unternahm seine Flitterwochen in Überresten oder ehemaligen Protektoraten des Britischen Weltreiches in Europa (d.h. Anjou, Aquitanien, Normandie, Picardie, Hannover, Maasland (also Benelux-Ländereien) und Rheinland), sowie in der Republik Zisalpinien. Nach ihrer Rückkehr gingen sie ihren alten Gewohnheiten nach. Anna las Zeitungen und schrieb Kolumnen für Zeitungen, während Wilbur sich der Gartenarbeit widmete. In seinem Ruhestand blieb Wilbur weiterhin aktiv, aber wollte aber weniger mit den Detektivfällen zu tun haben. Nur bei jeder vierten Bitte half er den jüngeren Ermittler bei ihren Fällen. „Ich liebe diesen Beruf, auch wenn ich jetzt im Ruhestand bin, doch will ich nicht in diesem Alter nicht ins nächste Abenteuer hineinrutschen.“ Die besten Ratsschläge schrieb Wilbur schließlich in einem 200-Seitigen Buch nieder, welches auch gleichzeitig als seine Memoiren angesehen werden könnte. Ein Jahr lang hat er daran gearbeitet. Im Oktober war er damit fertig geworden. Ein halbes Jahr später als er im Garten die Erde bestellte machte er eine seltsame Entdeckung. Manuskripte andere Dokumente und sogar Artefakte von Annas Adoptivvater lagen im Garten unter Erde verstreut oder sogar versteckt. Anna war von Wilburs Entdeckung nicht erfreut, weil sie wusste warum diese Sachen versteckt wurden.
Schnell sammelte sie alles was ihr Ehemann (wieder-)entdeckt hatte. Anna hatte Schwierigkeit ihren Zorn zu verbergen, aber noch schwieriger war es Wilbur zu erklären warum sie überhaupt wütend war. Wilbur half seiner Frau dabei, doch bemerkte er, dass sie diese Entdeckung gar nicht erfreute. „Das hätte erst in drei Generationen entdeckt werden sollen; weder der Inhalt noch die bloße Existenz dieser Gegenstände sollte gewusst werden, denn dies war der Letze Wille meines Vaters.“ Wilbur schämte sich dafür. Er hat es gut gemeint, aber nicht gut gemacht. „Heute um Mitternacht werden wir alles wieder begraben.“ Sie warteten eigentlich bis drei Uhr morgens als sie sicher waren, dass niemand in der Nachbarschaft noch wach war, bevor sie alles wieder unter die Erde begruben. Wilbur hatte sich schon dreizehn Male entschuldigt. „Ist schon gut, Wil.“ Anna machte eine Pause, die einige Atemzüge dauerte, während sie Wilbur anstarrte. Dann erhob sie die Stimme und sagte stramm: „Versprich mir aber, dass du darüber nicht mehr sprichst!“ Wilbur antwortete mit einem schlichten „Ja!“ „Aber auch darüber zu denken sollten wir strengstens vermeiden.“ Bei Wilbur flossen schon Schweißtropfen. Er dachte: „Nimmt Anna jetzt den Letzten Willen nur ganz ernst oder sind diese Dokumente eine Art Fluch, dass erst in sieben Generationen gebrochen werden kann?“ und dann sagte er zu Anna: „Ich versucht’s mein Schatz.“ Der strenge Blick seiner Frau gab ihm zu verstehen, dass er es nicht nur versuchen sollte. Die beiden kannten sich so gut, dass viele ihre non-verbale Kommunikation oft nicht einmal bemerkten. Beide Duschten sich kurz ums Schweiß und Schmutz abzuwaschen, zogen ihre Nachtbekleidungen an und gingen wieder ins Bett. Beide taten so als ob sie schlafen würden, bekamen aber kaum ein Auge zu.
In der Nacht um Monatsende kam Kommissar Jûn Omyel zu besuch bei den Szaborgberg-Witbòrgs. Er war ein Offizier der Nationalgarde als auch einer der wichtigsten Ermittler der Kriminalpolizei seines Landes. Als Jûn vor der Tür stand war ein Vollmond am Himmel und ein grauer Nebel in der ganzen Umgebung zu sehen. Beide Szaborgberg-Witbòrgs haben schon fertig zu Abend gegessen und haben sich ein Tee gemacht. Als sie Jûn ganz höflich begrüßten und ihm ein Tee anboten, den er auch ohne zu zögern annahm, trank er scheinbar (fast) gar nichts. Er saß mit Anna und Wilbur am Esstisch. „Warum bin ich nicht früher gekommen.“ dachte sich der Kommissar, der zuletzt nur etwas zum Frühstück gegessen hatte. Anstatt seinen Gastgebern nach essen zu fragen, wollte Jûn lieber mit ihnen diskutieren. Sie sprachen über persönliche sowie aktuelle Themen; wie ihren Erinnerungen zu den Ermittlungen, das Zustand der Kriminalität heutzutage im Land. Jûn kannte Wilbur seit Kindestagen, doch Anna hatte er schon Mal getroffen, ohne, dass sie davon zunächst wusste. Der Abend endete mit einer Liste von Witzen, die Wilbur wie in einer One-Man-Show hervorragend vorgetragen hatte. Der so erste Jûn musste fast vor Lachen weinen. Kurz vor Mitternacht ging Jûn noch auf die Toilette und verabschiede sich bei dem Pärchen. Anna bemerkte in den letzten Minuten seines Aufenthalts, dass seine Teetasse erst vor kurzem leer war. „Wer trinkt denn schon kalten Tee?“ dachte sie sich.
Kommissar Jûn Omyel war für viele schon immer ein komischer Kauz. Bei Anna schien es so als hätte sie ihn schon einmal gesehen bevor sie Ministerin wurde. „Mein Ehemann hat ihn mir schon vor Jahren vorgestellt und ich wusste ein Mann mit solchen Marotten kann es nicht zweimal geben, aber … habe ich im Kaschmir nicht etwas gesehen oder gehört, was mich an Jûn erinnert?“ Sie konnte ihre Frage nicht beantworten. Fast immer als sie Jûn traf, musste sie an die Ereignisse im Kaschmir denken. Als sie ihre Erinnerungen aus dem Kaschmir an diesem Abend erzählte fühlte sich Jûn scheinbar ziemlich unwohl und lenkte daher geschickt ab. Kurz vor dem zu Bett gehen hatte Anna ihr Schlafanzug aus Kaschmir getragen. Sie trug es nicht oft, obwohl es sehr schön aussah. „Erinnere mich, mein Liebster, so sagte Anna, dass ich von deinem Freund mehr wissen möchte; nämlich über seine Kenntnisse zum Kaschmir, die er mir vor kurzem wieder verschwiegen hatte.“ „Die einzige Möglichkeit das zu wissen, so antwortete Wilbur seufzend, ist ihm zu fragen. Und wir wissen, dass er es uns nicht sagen will, genauso wie wir wissen, dass wir seinen Willen zu respektieren haben.“ „Ja das weiß ich, doch! Aber… gäbe es nicht Leute die über ihm auch gut wissen?“ „Naja … jein; das ist kompliziert. Eigentlich könnte uns nur Pohl vielleicht weiterhelfen, doch er ist mit Jûn schon seit langem nicht mehr befreundet und die Ursache ihres Streits habe ich bis heute nicht ganz richtig begriffen.“ Oberkommissar Pohl von Landarwyrth hatte in Wirklichkeit nie ein sehr freundschaftliches Verhältnis, sondern eher bestenfalls eine respektvolle Partnerschaft, mit Jûn gehabt. Pjier von Landarwyrth war Polizeichef und ein Freund von Annas Vater, bis es zum Bruch kam. Der Fürst von und zu Szaborgberg hatte seiner Adoptivtochter nie erklärt, wie und warum es zum Bruch kam. So wie bei den Geheimdokumenten und -Artefakten, war er eine ehrliche Person, die jedoch vieles verschwieg. Er galt bei allem als ein Ehrenmann, doch keiner Vertraute ihm voll und ganz.
„Soll ich wieder mit Pohl Kontakt aufnehmen?“ fragte Anna. „Pohl ist wie sein Vater Pjier; entweder mag er dich oder nicht, aber er bleibt kategorisch. Selbst wenn er dir einen Gefallen schulden würde, würde er dir nur das strikte Minimum sagen was er über Jûn wüsste und noch weniger über den Bruch zwischen seinen und deinen Vater.“ „Meine Chancen sind also sehr gering und es wird sehr wahrscheinlich in einer Blamage bis in die Knochen enden, aber … aber …“ Anna machte eine Pause bevor sie ihren Satz beendete: „… es ist nicht mein Weg: ich will es wissen, vor allem wenn ich nichts dabei zu verlieren habe. Ich schäme mich nicht dafür!“ Sein Ehemann rollte die Augen, da er sich schämte einen höher gradierten quasi verhören zu beabsichtigen. Oft stritten sich die zwei über den Umgang in hierarchische Muster. Während Anna mit dem Glauben aufwuchs ihre „Untertaten“ oder „Schäfchen“ müsste ihr gegenüber gehorsam sein, musste Wilbur die Willkür seiner Vorgesetzten stillschweigend erdulden. Die halbe Nach lang arbeitete Anna an seinem Brief an Oberkommissar Pohl von Landarwyrth. Sie schrieb mit ihrer leserlichsten Schrift und ihrem diplomatischsten Sprachstil, so wie es von einer Aristokratin zu erwachten war. Nach ihrer Unterschrift aus azurblauer Tinte in Form eines Karolingischen Monogramms ließ sie mit einer Zündkerze blauen Wachs schmelzen, damit einige Tropfen auf dem Papier fallen und sie mit einem Siegelstempel das Siegel ihres Hauses markieren konnte. Der Brief war kaum eine Seite lang. Wilbur wollte ihr abraten diesen Brief zu schreiben, doch stattdessen hat sie ihn dazu überredet bei der Verfassung des Briefs zu helfen. In ihrer Übereifrigkeit wollte sie nicht auf dem nächsten Tag warten, während ihr Ehemann kurz vor der Fertigung des Briefs eingeschlafen war. Pohl antwortete erst gut drei Monate auf diesen einen Brief. Bis dahin verlief der Frühjahr im Gegensatz zum Winter gar nicht so ruhig bei den Szaborgberg-Witbòrgs.
„Pohl hat sicher viel zu tun.“ dachte Anna. „Und wenn nicht ignoriert er mich absichtlich oder hat meinen Brief schlicht vergessen.“ Sie hatte es sich deswegen oft vorgenommen ihm zu sehen, doch machte oft andere Sachen stattdessen. Ihr Ziel mehr zu erfahren, hat sie indes nie aus den Augen verloren. Sie vereiste mit Wilbur während den Osterferien im Rajasthan. Am letzten Wochenende ihres Urlaubs knüpfte sie Verbindungen mit alten Bekanntschaften und sogar Erzfeinden, die sich während der Kaschmir-Konferenz im Rajasthan getroffen haben. Anna gab sich manchmal als Journalistin aus und ihr Ehemann als Privatdetektiv. In ihrem kleinen Heft schrieb Anna alles nieder was sie brauchte, doch konnte sie es nicht retten, da es infolge eines Attentat von Extremisten in Flammen aufging. Anna war froh nicht wie ihr Hefts geendet zu haben, doch erinnerte sie sich nicht mehr an die Hälfte der niedergeschriebenen Informationen. Nach diesem Vorfall wurde Wilbur ziemlich Paranoid, da zwei der Terroristen scheinbar spezifisch Anna und Wilbur töten wollten. „Unmöglich! sagte Anna zu Wilbur. „Ich habe keine echte Feinde mehr in diesem Teil der Welt.“ Anna wollte dies Wilbur beweisen, indem sie die Namen der 18 Terroristen zeigte. Keiner von denen kam in der Tat aus dem Kaschmir. Wilbur blieb dennoch unruhig: „Und was wäre wenn der… (er sprach ganz leise) War’Khan-Clan insgeheimen diesen Anschlag orchestriert hätte?“ „Sie sind kriminell und skrupellos,“ sagte Anna „doch viel zu feige dafür.“ In Wahrheit schreckte dieser kriminelle Clan nicht einmal davor mehr zurück: auf dem Rückflug schlief Anna und Wilbur während sich ein Agent der indischen Regierung und einer des War’Khan-Clans gegenseitig vergifteten. Hätte der letztere Agent gewusst, dass Anna im Flugzeug saß, hätte er sie zuerst vergiftet.
Der War’Khan-Clan
Der War’Khan-Clan hatte Vorfahren in Indien und in Pakistan. Deshalb wurde diesem Clan während des Kaschmirkonflikts vorgeworfen einen Fuß in beide Lager zu setzten. Der Clan aus der Kriegerkaste wurde somit in beide Länder verhasst. Als Rhugghal War’Khan neuer Clanoberhaupt wurde, wollte er Ruhm und Ehre des Clans wiederherstellen, indem er eine Atombombe stahl oder später sogar selbst eine baute. Viele Mitglieder seines Clans gingen bei diesem verrückten Unternehmen ums Lebens. Mit dieser Atombombe bezweckte Rhugghal den Frieden zu erzwingen zu können und auch als Gottheit angesehen zu werden. Er spielte oft mit dem Gedanken Afghanistan oder Bangladesch mit einer Atomwaffe zu vernichten, um seine Terrorherrschaft über den Rest des Subkontinents zu errichten. Er versprach den Nationalbolschewisten letztlich auch eine Atombombe zu bauen, wenn Bauteile und angereichertes Uran stehlen würden. Anna und seinen Kameraden gelangte es dieses verbrecherische und verrückte Unternehmen zu verhindern. Rhugghal und seine Nachfolger waren und blieben von Rachsucht zerfressen, doch befürchteten sie – nachdem sie erheblich geschwächt wurden – dass es keine gute Idee sei eine UN-Diplomatin, die später auch noch Außenministerin wurde, zu ermorden. Noch konnte Rhugghal und seine Schergen dem indischen Staat verheimlichen was wirklich im Kaschmir geschah. Erst mit dem Anschlag an der Kaschmir-Konferenz im Rajasthan beschloss die indische Regierung zu energischen Mitteln, da ein Spion – den Anna kannte – in extremis berichtet hatte, dass dieser Clan im Hintergrund eine wichtige Rolle bei diesem Anschlag gespielt hatte.
Pohls Antwort
„Damit habe ich echt nicht gerechnet!“ sagte verblüfft die 72-jährige Anna als sie Pohls Brief mit seiner Antwort zum zweiten Mal las. „Was soll das überhaupt bedeuten?!“ Der Oberkommissar schrieb ihr er könne ihr nur sagen, dass er nichts weiß: wo Jûn damals war oder etwas mit ihrer Mission im Kaschmir zu tun hatte kann er sich nicht erinnern. Ansonsten meinte er: „Mit Verlaub Prinzessin, ich habe mir geschworen nie wieder über die Sache mit Eurem Vater, seine Seele möge in Frieden ruhen, zu reden, aber“ als Anna weiter lass, lass sie die folgenden Zeilen dreimal, zuletzt auch mit einer besserer Lesebrille. „ich bezweifle, dass Jûn noch Euer geliebter Vater die Antwort auf Eure Fragen geben oder gegeben hätten könnten. Kommissar Emeritus Kleyn weiß mehr darüber bescheid, aber ist nun in Pension. Er wird Ihnen zwar eventuell Indizien geben können, da Jûn mit ihm Jahrelang gearbeitet hatte, aber mit größter Sicherheit wird er nichts weiteres sagen können.“ (…)
Kommissar Kleyn
Es stellte sich heraus, dass in Wahrheit Kleyn noch als illegaler Geheimagent aktiv war. Kleyn spielte ein doppeltes Spiel. Er bereicherte sich durch die internationale Kriminalität z.B. durch den Waffenhandel. Jûn hat er zunächst missbraucht, dann in die Kriminalität verleitet, dann ihn betrogen, so wie er Pohl, Pjier und Fürst von und zu Szaborgberg betrogen hatte. Durch die Ermittlungen Wilburs fürchtete Kleyn in den Verdacht zu kommen, weswegen er Beweismaterialien zerstörte und in der Pension ging. Kurz bevor die WW-Sekte verhaftet wurde, hatte er sich mit ihrem Anführer zerstritten, obwohl Wagner von Kleyns verbrechen bescheid wusste. Kleyn war zu stolz um sich irgendeinen ganz zu unterwerfen. (…)
Letztlich wurde der Betrüger durch Anna und Wilbur in das Licht geführt und entlarvt. Anna schlug ihm einen faustischen Pakt vor, indem sie und Wilbur nichts den Behörden sagen werden, wenn der ohnehin schon todkranke Kleyn ihr alles erzählen würde, da das Paar wusste, dass Kleyns Auftragskiller sie finden würden, bevor sie ein Wort sagen konnten. Kleyn sagte alles war er wusste bevor er an seinem Sterbebett seinen letzten Atemzug gab. Die Killertruppe erwartete sie als Polizisten verkleidet vor Kleyns Haustür, als beide das Haus verließen, doch Anna zeigte denen die Notizen, die sie gemacht hatte. Die Killertruppe begriff, dass ihr Auftraggeber tot sei, doch wollte sie dennoch bezahlt werden. An Kleyns Killernetzwerk musste das Paar Geld zahlen, um mit dem Leben davon zu kommen, obwohl Kleyn die Killer testamentarisch zu seinen Haupterben ernannt hatte. 250.000 T-Mark bekamen sie von den Szaborgberg-Witbòrgs. Anna wurde wütend, weil sie zweimal an in einer Nacht gegen ihre Prinzipien verstoßen hatte: einmal durch ihr Schweigen anstatt, nach dem Motto „ius talionis“ bzw. „Strafe muss sein“, Kleyn anzuzeigen und ein weiteres Mal indem sie fast all ihre Ersparnisse an Serienmörder verschenkte. Kleyn sagte ihr alles was er wusste, aber nicht die ganze Wahrheit – und für alle bisherigen Erkenntnisse musste sie mit ihren moralischen Werten und mit Geld zahlen.
Die andere Hälfte der Wahrheit über Anna
Auf einen Flohmarkt verkaufte Anna eine Woche nach Kleyns letztem Besuch einige Gegenstände um den Geldverlust ein wenig zu kompensieren. Am Ende tauschte sie ihren letzten Gegenstand mit einem anderen kryptischen Gegenstadt vom Nachbarverkäufer aus. Der gewonnene Gegenstad kam aus dem Kaschmir und enthüllte die letzten Geheimnisse von Annas Vergangenheit sowie über den Bruch zwischen Fürst Szaborgberg und Pjier, aber nicht die Geheimnisse, die ihr Adoptivvater erst viel später preisgeben wollte.
Epilog (Spoiler!)
Das Paar adoptierte im Folgejahr zwei Kinder jeweils aus Kaschmir und Rajasthan. Sie waren weise und der Spion hatte nicht die Zeit um sie zu sorgen, als er sie fand. Anna und Wilbur hatten selbst keine Kinder, waren aber überglücklich, als das Angebot des Spions annahmen. Der Spion (Dipesh) war der Sohn jener im Kaschmir gefallenen Soldaten (Dinesh), der Annas Diplomaten-Team gerettet hat. Ramesh und Kamla nahmen den Nachnamen (von und zu) Szaborgberg-Witbòrg an sowie lernten Hochdeutsch und den tautaborgischen Dialekt. Erst mehrere Jahrzehnte nach dem Ableben ihrer Adoptiveltern werden sie von Dipesh die Geheimnisse ihrer Herkunft erfahren: Rameshs Eltern waren indische Nationalbolschewisten und Kamla war das ausgesetzte Mädchen des War’Khan-Clans. Erst während ihrer Generation wurde der Kaschmirkonflikt beendet. Während dieser neuen Friedenszeit gründeten beide Familien und strebten nicht mehr abenteuerliche Karrieren an. Kamlas und Rameshs Kinder, bzw. Annas Adoptivenkelkinder erfuhren letztlich die Geheimnisse welches Fürst von und zu Szaborgberg für ein Jahrhundert lang verheimlichen wollte. Eines davon war, dass der Fürst schlicht ein Betrüger war. Das Haus Szaborgberg hat es vor ihm nie gegeben. Die Adoptions- und Erbschaftsdokumente waren alle vom falschen Fürsten gefälscht. Da aber diese Schurkentaten verjährt waren, hat sich technisch gesehen eine Lüge zur Wahrheit entwickelt. Die Urenkelkinder wurden somit wirklich Teil des Hochadels und pflegten dessen Sitten, während ihr Urgroßvater nur auf dem Papier lediglich zum niedrigen Adel gehörte.
